Interview
"Eine neue Ära der Genossenschaft einläuten"
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Seit Beginn des Jahres ist Peter Haubner neuer Verbandsanwalt des ÖGV. Im ersten großen Interview für „cooperativ“ spricht der erfahrene Nationalratsabgeordnete und Interessenvertreter aus Leidenschaft über die Herausforderungen seiner neuen Aufgabe und die Pläne für die Zukunft des Verbandes. „cooperativ“: Sie blicken auf viele Jahre Erfahrung in der Interessenvertretung zurück, waren Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, sind als Abgeordneter zum Nationalrat auch Wirtschaftssprecher Ihrer Partei, zeichneten für Salzburgs Olympia-Bewerbung verantwortlich, sind selbst Unternehmer - Ihre Biographie reicht locker für zwei Leben. Was hat Sie bewogen, sich der neuen Herausforderung im Genossenschaftsverband zu stellen? Peter Haubner: Ich finde neue Herausforderungen in der Welt der Wirtschaft immer spannend. Und beim ÖGV haben einfach alle Rahmenbedingungen perfekt gepasst: Es gibt ein solides Fundament, auf das man bauen kann, zugleich sehe ich große Chancen und Perspektiven für die Zukunft. Mit welchem Konzept konnten Sie bei der Bewerbung überzeugen? Meine Ansage war: Ich möchte der Genossenschaft zu einem höheren Stellenwert verhelfen und dem ÖGV mehr Gehör verschaffen. Wir müssen die Rechtsform gemeinsam stärker ins Bewusstsein von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft rufen. Das bedeutet auch, dass der Verband und seine Mitglieder in der Öffentlichkeit präsenter werden müssen. Indem wir zeigen, wie attraktiv die Genossenschaft als unternehmerische Idee ist, können wir letztlich eine neue Ära des Aufschwungs für das gesamte Genossenschaftswesen einläuten. Sie sind seit 2. Jänner im Amt. Was sind Ihre ersten Eindrücke und Erfahrungen? Ich habe sofort gemerkt, dass im ÖGV sehr hohe Fachkompetenz vorhanden ist - sei es in der Interessenvertretung, in der Rechts- und Steuerberatung, in der Betreuung der Mitglieder oder in der Revision. Da ist ein großer Wissensschatz vorhanden, das hat mich sehr beeindruckt. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich damit auch neue Ideen erfolgreich verwirklichen und in die Öffentlichkeit transportieren lassen. Was mir auch sofort aufgefallen ist: Die Begeisterung für die Genossenschaftsidee ist im ganzen Haus spürbar, die Mitarbeiter leben diesen Grundgedanken. Was sind Ihre persönlichen Stärken, die Sie in die neue Aufgabe einbringen können? Ich bin seit jeher ein leidenschaftlicher Interessenvertreter - ob bei der Olympia-Bewerbung von Salzburg, als ich die Interessen eines Landes gegenüber einer großen internationalen Organisation vertreten habe, oder beim Wirtschaftsbund, wo ich mich gegenüber den Entscheidungsträgern in der Politik für die Belange der kleinen und mittelständischen Unternehmen eingesetzt habe. Auch das Genossenschaftswesen ist ein zentraler Motor unserer Wirtschaft und braucht eine starke Interessenvertretung. Zudem würde ich mich als intimen Kenner der politischen Entscheidungsgremien in dieser Republik und als Mann des Ausgleichs auf allen Ebenen bezeichnen. Das klingt nach viel Leidenschaft für die Aufgabe. Haben Sie dabei einen persönlichen Leitspruch? Ja, ich nehme mir Folgendes immer zu Herzen: Wenn du alles gibst, dann brauchst du dir nichts vorzuwerfen. Sie sind nicht nur Verbandsanwalt des ÖGV, sondern weiterhin auch Abgeordneter zum Nationalrat. Wie verbinden Sie diese beiden Aufgaben miteinander? Beides lässt sich sehr gut verbinden, da die Interessen der Genossenschaften und ihrer Mitglieder zugleich auch die Interessen der kleinen und mittelständischen Unternehmen dieses Landes sind, für die ich mich im Parlament stark einsetze. Man könnte es als klassische Win-win-Situation charakterisieren: Ich kann die Erfahrungen aus der genossenschaftlichen Praxis in die politische Arbeit einbringen, und umgekehrt kann ich das Know-how aus der Politik für den Verband nutzen. Genossenschaftspionier Hermann Schulze-Delitzsch hat dem ÖGV bei seiner Gründung 1872 folgenden Satz mit auf den Weg gegeben: „Auf der Freiheit, verbunden mit der Verantwortlichkeit für deren Gebrauch, beruht die gesunde Existenz des Einzelnen wie der Gesellschaft.“ Können Sie mit diesem Spruch heute noch etwas anfangen? Auf jeden Fall! Was damals in einer schwierigen Phase gegolten hat, lässt sich auch in die heutige Zeit übertragen: Wir sollten in Freiheit unsere Eigenverantwortung wahrnehmen und unser Schicksal selbst in die Hand nehmen, zugleich aber auf eine starke Gemeinschaft bauen. Der Spruch hat also zeitlose Gültigkeit. Was bedeutet die Idee der Genossenschaft für Sie persönlich? Ich bin fasziniert von diesem Prinzip, es ist genial und regional zugleich. Die Genossenschaft ermöglicht eine Kooperation Gleichgesinnter und Gleichgestellter, die von unten nach oben entscheiden. Sie erlaubt die Teilhabe von Mitgliedern an Prozessen, die sonst ganz großen Einheiten vorbehalten sind - etwa in Form von Einkaufsgenossenschaften -, und das, ohne dadurch die Unabhängigkeit einzubüßen. Nicht umsonst ist die Idee seit mehr als 150 Jahren auch international fest verankert und als Erfolgsmodell weit verbreitet. Und zurecht wurde sie 2016 auch von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit gewürdigt. Wo sehen Sie die großen Zukunftsperspektiven? Die Themen Vernetzung und Kooperation sind aktueller denn je, denken Sie nur an Crowdfunding oder digitale Netzwerke im Internet. Die Genossenschaft als demokratische Organisationsform, in der Menschen und Unternehmen auf Augenhöhe zusammenarbeiten, kann hier eine zentrale Rolle spielen, wenn es gelingt, sie auch in der breiten Öffentlichkeit als attraktiv darzustellen. Ob alternative Energien, kommunale Projekte, Pflege oder Breitbandausbau - man sollte genau prüfen, ob die Genossenschaft hier nicht die besseren Lösungen anzubieten hat. Welches Programm wollen Sie im ÖGV umsetzen? Gemeinsam mit meinem Vorstandskollegen Robert Makowitz möchte ich den ÖGV in eine gute Zukunft führen. Dazu gehören mehr öffentliche Aufmerksamkeit für den Verband und das gesamte Genossenschaftswesen, die Gewinnung neuer Mitglieder und wie bisher schon deren optimale Betreuung durch einen modernen Verband für Revision, Interessenvertretung und Beratung. Zudem habe ich mir vorgenommen, den ÖGV international noch stärker zu vernetzen, um ihm so mehr Gewicht zu verleihen und um aus Best-Practice-Beispielen zu lernen. Als Mitglied der Jury des Deutschen Mittelstandspreises kann ich hier wertvolle Erfahrungen einbringen. Wie wollen Sie die teilweise divergierenden Interessen von Volksbanken und Warengenossenschaften ausgleichen? Hier besteht nur ein scheinbarer Gegensatz. Denn wenn man auf das große Ganze schaut, erkennt man, dass es sich um eine sinnvolle Partnerschaft handelt: auf der einen Seite die Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften mit ihren Mitgliedern, die vor allem gewerbliche Betriebe oder Selbstständige sind, auf der anderen Seite die Banken als Finanzierer dieser Unternehmen. In diesem Sinne möchte ich dazu beitragen, ein neues Verhältnis zwischen den beiden Mitgliedergruppen zu etablieren, von dem alle profitieren - auch, indem vorhandene Synergien besser genutzt werden. Haben die Volksbanken die schwierigen Zeiten hinter sich gelassen? Sehen Sie den Verbund auf einem guten Weg? Meine Familie ist seit Generationen bei der Volksbank Salzburg. Dieser Bank habe ich immer vertraut, so wie es viele andere Österreicher auch schon lange tun. Klar: Der Verbund hat eine harte Zeit hinter sich, er hat aber letztlich mit dem gemeinsamen Projekt der Neuaufstellung alle Hürden erfolgreich gemeistert, wobei der Weg noch nicht zu Ende ist. Es warten schon die nächsten Herausforderungen. Dazu gehört etwa auch die Frage, wie die Genossenschaftsidee und die Vorteile der Mitgliedschaft wieder stärker ins Rampenlicht gerückt werden können. Welche konkreten Schritte wollen Sie in nächster Zeit setzen? Ich werde gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren einen Prozess zur Modernisierung und Attraktivierung des Verbandes aufsetzen. Außerdem möchte ich bestehende Kooperationen mit der Wissenschaft gezielter für Projekte nutzen. Es geht auch insgesamt um ein Signal der Erneuerung. Erstes sichtbares Zeichen dieses Aufbruchs soll der Verbandstag im Mai sein, bei dem wir uns dem wichtigen Zukunftsthema Digitalisierung widmen und den Verband zugleich bei Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik wirkungsvoll präsentieren wollen. Apropos Politik: Wie ist Ihr persönlicher Draht zur neuen Regierung unter Kanzler Kurz? Ich kenne Sebastian Kurz schon seit zehn Jahren, er ist sicher eine Ausnahmeerscheinung in der österreichischen Politik. Ich habe ja auch das Regierungsprogramm für die Bereiche Finanzen, Wirtschaft, Steuern und Sport mitverhandelt. Und als Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie im Parlament stehe ich natürlich immer in engem Kontakt mit ihm. Als Verbandsanwalt ist mir eine intakte Gesprächsbasis zu allen Parteien wichtig. Der ÖGV ist natürlich überparteilich. Der ÖGV feiert 2022 sein 150-jähriges Bestehen. Was wünschen Sie sich zum Jubiläum? Kurz und bündig: dass sich der ÖGV dann durch ein starkes Wir-Bewusstsein und ein weiterentwickeltes, modernes Selbstverständnis auszeichnet.