Arbeitswelt 2.0
"Warum Einzelkämpfer sein, wenn's auch gemeinsam geht?"
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Mit dem Ziel, Künstlern und Kreativen die administrative Arbeit abzunehmen und ihnen die Option auf eine Anstellung zu bieten, ist vor drei Jahren SMartAt, gegründet nach belgischem Vorbild, an den Start gegangen. Seitdem hat die Genossenschaft ein beachtliches Wachstum hingelegt und steht heute auf grundsoliden Beinen. Geschäftsführerin Sabine Kock und Juristin Lisa Pointner im Gespräch über ein Modell für die Arbeitswelt 2.0, das erwachsen geworden ist. „cooperativ“: Wie kann man Ihr Geschäftsmodell auf den Punkt bringen? Sabine Kock: Unter dem Motto „Ihr macht die Kunst, wir den Papierkram“ nimmt SMart Kunstschaffenden, Kreativen, aber auch anderen Neuen Selbstständigen einen Großteil der Bürokratie ab und vereint darüber hinaus die Freiheit der Selbstständigkeit mit der Sicherheit von angestellten Arbeitsverhältnissen. Indem die Genossenschaft in die Verträge ihrer Nutzerinnen und Nutzer eintritt, fällt für diese ein Teil des unternehmerischen Risikos weg. SMart garantiert die sofortige Auszahlung der Honorare, kümmert sich um das Mahnwesen und bietet im Fall des Falles eine Ausfallshaftung. Auf Wunsch stellt SMart die Nutzerinnen und Nutzer auch direkt in der Genossenschaft an. In diesem Fall profitieren sie von weiteren Benefits, die Selbstständige nicht haben – etwa die Arbeitslosenversicherung. Kurzum: Wir bieten eine innovative Antwort auf die neue Arbeitswelt. Lisa Pointner: Die Grundidee ist an die Shared Economy angelehnt, die wir solidarökonomisch interpretieren. Warum sollte man Einzelkämpferin oder Einzelkämpfer sein, wenn man auch eine gemeinsame Unternehmensstruktur nutzen kann? Ihr Modell funktioniert nunmehr schon seit drei Jahren fast unverändert. Heißt das, Sie haben auf Anhieb alles richtiggemacht? Pointner: Im Grunde ja. Aber wir konnten das Geschäftsmodell vor der Gründung der Genossenschaft im Rahmen eines Vereins ausprobieren. Da ließ sich ganz gut testen, was funktioniert und was nicht. Unser Angebot hat sich als ökonomisch tragfähig erwiesen: Nutzerinnen und Nutzer wickeln ihre Projekte über SMart ab, dafür heben wir 7,5 Prozent der Vertragssumme als Servicegebühr ein. Im Sommer 2015 sind Sie mit 15 Mitgliedern gestartet. Wo steht die Genossenschaft jetzt? Kock: Es war nie unser Ziel, explosionsartig zu wachsen. Wir legen Wert auf eine organische Entwicklung. Das ist uns auch sehr gut gelungen: Seit der Gründung hat sich unser Umsatz jedes Jahr verdoppelt. Für 2019 peilen wir erstmals die schwarze Null an. Mittlerweile zählen wir 600 Nutzerinnen und Nutzer, davon sind knapp 100 auch Mitglieder in der Genossenschaft. Diese Lücke wollen wir allerdings schließen: In der letzten Generalversammlung wurde beschlossen, dass die Mitgliedschaft für all jene, die unser Service mehr als einmal nutzen möchten, grundsätzlich verpflichtend wird. Wie viele ihrer Nutzer bleiben selbstständig, und wie viele sind in der Genossenschaft angestellt? Kock: 95 Prozent bevorzugen die Sicherheit der Anstellung, obwohl sie dabei netto weniger ausbezahlt bekommen. Schließlich müssen aus den Erlösen der eingebrachten Aufträge sowohl Dienstgeber- als auch Dienstnehmeranteil der Lohnnebenkosten abgegolten werden. Aber die Anstellung bietet eben auch soziale Inklusion, man erwirbt Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung oder hat das Recht auf Bildungskarenz. Pointner: Wir beraten stets ergebnisoffen und schauen uns jeden Fall individuell an. Die Entscheidung für die Beschäftigungsform hängt auch stark von der Persönlichkeit des einzelnen Nutzers ab. Manche sind einfach nicht geschaffen für die Selbstständigkeit. Wie zufrieden sind Sie mit der Wahl Ihrer Rechtsform? Pointner: Wir sind sehr froh, dass wir uns für die Genossenschaft mit ihrer demokratischen Form der Mitbestimmung entschieden haben. Auch in anderen Ländern ist SMart als Genossenschaft an den Start gegangen, etwa in Frankreich, Spanien oder Italien. Und die SMart-Gesellschaften in Belgien und Deutschland haben sich nachträglich zu Genossenschaften gewandelt. Kock: Die Genossenschaft fühlt sich einfach anders an als etwa eine GmbH, zu der uns bei der Gründung zunächst geraten wurde. Das Einzigartige ist: Die Mitglieder sind Mitunternehmerinnen und Mitunternehmer und zugleich Nutzerinnen und Nutzer der Leistungen. Und die Genossenschaft erlaubt auch unkompliziertes Wachstum, da der Beitritt neuer Mitglieder nicht ins Firmenbuch eingetragen werden muss. Auch die Pflichtrevision empfinden wir unerwartet als sehr positiv: Sie hat uns geholfen, unsere internen Prozesse stärker zu professionalisieren. Sie haben sich Basisdemokratie groß auf ihre Fahnen geheftet. Wie wollen Sie die bei stark steigenden Mitgliederzahlen weiter gewährleisten? Kock: Das ist in der Tat eine Herausforderung, aber noch stehen wir nicht akut vor dem Problem. Wie es gehen kann, zeigt SMart in Belgien: Dort gibt es über 20.000 Genossenschaftsmitglieder, die Generalversammlung findet elektronisch statt. Die Fragestellung betrifft uns im Grunde aber alle, und sie hat auch gesellschaftspolitische Relevanz: Wie können demokratische Strukturen weiter funktionieren, wenn eine kritische Mitgliederzahl erreicht ist? Kooperative Plattformen könnten für viele Bereiche eine Lösung sein. Stellen Sie sich Uber oder Facebook als Genossenschaft vor, die allen Nutzern gehört! Datenmissbrauch und andere Verwerfungen wie Ausbeutung der Arbeitskraft wären dann vermutlich kein Thema. Wie sehen Ihre nächsten Ausbauschritte aus? Pointner: Den ersten Schritt haben wir schon gesetzt, indem wir unsere Zielgruppe erweitert haben. Neben Kunstschaffenden und Kreativen sprechen wir jetzt auch andere Neue Selbstständige an, etwa Übersetzerinnen oder Workshop-Leiter. Und wir überlegen, auch ausgewählte Gruppen von Gewerben einzubeziehen. Ich denke da etwa an Fotografie. Hier sehen wir einen klaren Bedarf, zugleich sind die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Probleme recht ähnlich gelagert. Allerdings wollen wir den Ausbau vorsichtig gestalten, es wird kein SMart für alle Ein-Personen-Unternehmen geben. Kock: So ist es. Unser Know-how haben wir im Kunst- und Kultursektor sowie in verwandten Bereichen. Für alles andere müssten wir das Expertenwissen erst aufbauen. Wo liegen die Chancen, aber auch die Grenzen des SMart-Modells? Kock: Wir erleben einen Rückgang fester Anstellungsverhältnisse, teilweise werden Menschen auch in die Selbstständigkeit gedrängt. Unser Konzept kann darauf die Antwort sein. Pointner: Es gibt aber auch Grenzen. Für Unternehmer, die bereits eine starke Identität aufgebaut haben, die Wert auf ihren eigenständigen Firmenauftritt legen, wäre die Einbringung der Aufträge in eine Genossenschaft wie SMart nicht die richtige Lösung. Und es gibt komplexe Bereiche, über die wir uns aufgrund mangelnder Expertise nicht drüber trauen bzw. auch die Voraussetzungen nicht erfüllen würden, beispielsweise Zusammenschlüsse privater Arztordinationen.